Die Leitzinsen in der Eurozone befinden sich bereits seit dem 10. März 2016 auf einem absoluten Tiefstand. Seit diesem Datum liegt der maßgebliche Hauptrefinanzierungssatz bei 0,00% – so etwas hat es zuvor in der Geschichte Europas noch nicht gegeben.
Was auf den ersten Blick gerade für Kreditnehmer sehr positiv erscheint, hat jedoch eine ganze Reihe von Folgen für die europäischen Volkswirtschaften. In diesem Artikel sollen die Zusammenhänge nun etwas genauer aufgezeigt werden.
Die Leitzinsentwicklung – seit Jahren auf niedrigstem Niveau
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat bereits seit 6 Jahren nur noch Leitzinsänderungen vorgenommen, die eine Senkung der Zinssätze bedeuteten. In Bezug auf die Leitzinspolitik existieren 3 verschiedene Zinssätze, die jeweils wichtige Modalitäten klären:
1. Der Hauptrefinanzierungssatz
Der Hauptrefinanzierungssatz legt die Konditionen fest, zu denen sich Banken neues Zentralbankgeld von der EZB beschaffen können. Möchte eine Bank also zum Beispiel einen Kredit vergeben, benötigt sie dafür eine entsprechende Refinanzierung, da sie das Kapital zunächst besitzen muss, um es zu verleihen. Neben privaten Anlegern steht als Quelle auch die EZB zur Verfügung. Hier können sich Banken Geld leihen und mit einer höheren Rendite weiterinvestieren.
2. Die Einlagefazilität
Bei der Einlagefazilität handelt es sich um den Guthabenzins für Banken bei der EZB. Wenn eine Bank am Ende eines Geschäftstages Guthaben aufweist, die sie nicht in andere Bankgeschäfte investiert oder an andere Banken verliehen hat, muss sie diese auf einem Zentralbankkonto parken. Die Einlagefazilität legt fest, zu welchen Konditionen dies möglich ist.
3. Der Spitzenrefinanzierungssatz
Der Spitzenrefinanzierungssatz (Spitzenrefinanzierungsfazilität) legt die Kosten für den umgekehrten Fall zur Einlagefazilität fest. Sollte eine Bank am Ende eines Geschäftstages also einen negativen Saldo aufweisen, kann sie sich von der EZB gegen entsprechende Sicherheiten kurzfristig Kapital leihen (Übernachtkredit).
Welche Auswirkungen hat die aktuelle Leitzinssituation auf die Akteure in der Wirtschaft?
Die Auswirkungen der Leitzinspolitik der EZB auf Unternehmen, Banken und private Haushalte sind recht vielfältig. Im Folgenden werden diese näher beschrieben:
1. Auswirkungen niedriger Leitzinsen auf private Haushalte
Ganz Grundsätzlich kann ein privater Haushalt seine finanziellen Mittel auf zweierlei Art und Weise verwenden:
- Das Geld ausgeben (Konsum): Private Haushalte geben einen großen Teil ihres Geldes aus. Alle Geldausgaben privater Haushalte sind rein volkswirtschaftlich betrachtet als Konsum zu verstehen.
- Das Geld nicht ausgeben (Sparen): Wird ein Teil des zur Verfügung stehenden Einkommens nicht ausgegeben, bezeichnet die Volkswirtschaftslehre dies als Sparen. Haushalte können das Geld bei Banken anlegen, zu Hause unter das Kopfkissen legen oder in andere Anlagemöglichkeiten investieren.
Der Zinssatz spielt dabei eine sehr wichtige Rolle für die Entscheidung, Geld zu sparen oder nicht. Die Tendenz fällt je nach Zinsentwicklung unterschiedlich aus:
Da die Leitzinsen sich aktuell auf einem sehr niedrigen Niveau befinden, stehen private Haushalte also vor der Situation, dass sich sparen kaum noch lohnt. Wer nicht auf risikoreiche Geldanlagen setzen möchte, hat ein echtes Renditeproblem. Zinseinlagen wie Festgeld, Tagesgeld oder auch Sparbücher bringen kaum noch Zinsen und können oftmals nicht einmal die Inflation ausgleichen.
Dafür werden Kredite tendenziell immer günstiger, was den Konsum anregt. Dies geben auch die Statistiken wieder, denn der GfK-Konsumklimaindex stieg im Februar 2017 bereits zum dritten Mal in Folge und liegen bei einem Wert von 10,2 Punkten.
2. Auswirkungen auf die Unternehmen
Die Investitionstätigkeit von Unternehmen ist neben dem privaten Konsum einer der wichtigsten Motoren einer Volkswirtschaft. Niedrige Leitzinsen sorgen im Normalfall dafür, dass mehr Investitionen getätigt werden. Dies hat zwei Gründe:
- Niedrige Opportunitätskosten: Investitionsentscheidungen werden im Normalfall vorher immer mit einem Alternativszenario einer sicheren Geldanlage verglichen. Die Fragestellung dabei lautet also: „Welchen Gewinn bringt uns eine Investition im Vergleich zu einer sicheren Geldanlage?“. Wenn die sichere Geldanlage allerdings kaum Rendite mit sich bringt, macht dies viele Investitionen interessanter.
Hinweis: Niedrige Leitzinsen vermindern die Sparneigung der privaten Haushalte, so dass nach einer gewissen Zeit weniger Geld für Investitionen zur Verfügung steht. Die höhere Nachfrage nach Konsumgütern durch private Haushalte sorgt allerdings dafür, dass die Unternehmen nach einer gewissen Zeit die Preise für ihre Produkte und Dienstleistungen erhöhen.
3. Auswirkungen auf Geschäftsbanken
Die Geschäftsbanken sind unmittelbar von der Leitzinspolitik der EZB betroffen und fungieren zudem als Übermittler der neuen Bedingungen. Die folgende Tabelle zeigt detailliert, wie die einzelnen Leitzinssätze sich auf Banken auswirken und wie die Banken dies an die jeweiligen Marktteilnehmer weitergeben:
Wie wirkt sich der Leitzinssatz auf die Preise aus?
Die grundlegende Aufgabe der EZB besteht eigentlich darin, das Preisniveau in der Eurozone stabil zu halten. Dies funktioniert über zwei Mechanismen:
1. Der Hauptrefinanzierungssatz
Wenn sich eine Bank Geld von der EZB leiht, wird dieses neu geschaffen. Somit erhöht sich die Geldmenge insgesamt. Eine höhere Geldmenge kann unter Umständen dafür sorgen, dass die Inflation ansteigt. Mit dem Hauptrefinanzierungssatz hat die EZB also ein Instrument zur Steuerung der Geldmenge, welches jedoch indirekt funktioniert.
2. Die Mindestreservepolitik
Die EZB kann als wichtigste geldpolitische Maßnahme eine sogenannte Mindestreserve festlegen. Dieser Reserve können sich die Banken nicht entziehen und sie sorgt für zwangsweise Guthaben der Geschäftsbanken bei der Zentralbank. Durch die Tatsache, dass die Guthaben nicht in den Geldmarkt fließen, lässt sich auf diese Weise die Geldmenge wirksam begrenzen, was wiederum eine starke Wirkung due das Preisniveau hat.
Die EZB sorgt mit niedrigen Leitzinsen also dafür, dass die Preise tendenziell steigen. Starke Effekte sind bisher allerdings ausgeblieben, weil die Nachfrage der Banken nach frischem Kapital nicht so ausgeprägt war und die Bonitätsauflagen für die Kreditvergabe an Privatpersonen und Unternehmen strenger geworden sind. Trotzdem besteht bei einer lang anhaltenden Niedrigzinspolitik die Gefahr, dass die Inflation anzieht.
Niedrige Leitzinsen – wie hoch ist die Gefahr von Spekulationsblasen?
Die große Finanzkrise im Jahr 2007 ist durch eine Spekulationsblase am US-Immobilienmarkt entstanden. Da auch hier niedrige Leitzinsen über einen langen Zeitraum hinweg als eine der Ursachen gelten, lässt sich sehr gut demonstrieren, welche Probleme eine solche Zinssituation mit sich bringen kann.
Der Ablauf sieht dabei oft folgendermaßen aus:
1. Niedrige Leitzinsen ziehen niedrige Finanzierungskosten nach sich.
2. Zusätzlich werden Zinseinlagen für Anleger uninteressanter und sie suchen nach Alternativen.
3. Niedrige Kreditzinsen sowie die Einschränkung von Anlagealternativen sorgt für eine erhöhte Nachfrage am Immobilienmarkt.
4. Viele Immobilien werden auch zu Anlagezwecken mit günstigen Krediten finanziert.
5. Die hohe Nachfrage nach Immobilien lässt die Preise steigen.
6. Aufgrund der geringen Kreditkonditionen sind die Käufer trotzdem gewillt, höhere Preise zu zahlen und gehen mit der Kreditaufnahme Risiken ein.
7. Durch die anhaltend hohe Nachfrage steigen die Immobilienpreise weiter.
Die Übertreibungen bei den Preisen sorgen irgendwann dafür, dass:
- die Nachfrage nach Immobilien zurückgeht (es lohnt sich nicht mehr).
- ein Teil der Käufer Kredite eingegangen ist, sie bei kleinsten finanziellen Veränderungen nicht mehr bedienen kann.
- durch Kreditausfälle und Zwangsversteigerungen die Immobilienpreise plötzlich stark abstürzen.
- durch die generell gesunkenen Preise weitere Kreditvorhaben nicht mehr richtig abgesichert sind und ebenfalls auszufallen drohen.
Daraus entsteht eine Abwärtsspirale, die mitunter ganze Volkswirtschaften ins Wanken bringen kann. Dies gilt jedoch nicht nur für den Immobilienmarkt, denn übertrieben günstige Zinsen erhalten mitunter auch Unternehmen künstlich am Leben, die sich auf dem Markt normalerweise nicht mehr behaupten können. Die Gefahr von Spekulationsblasen sollte deshalb bei der Leitzinspolitik stets mit bedacht werden.
Fazit:Niedrige Leitzinsen können einer Volkswirtschaft zu höherem Wachstum verhelfen. Sie regen die Konsumneigung der privaten Haushalte an und machen Investitionen günstiger. Für Privatpersonen bedeutet dies zum Beispiel, dass sich Sparen kaum lohnt, während die Kreditaufnahme zu sehr günstigen Konditionen möglich ist. Im Gegenzug besteht jedoch die Gefahr einer zu hohen Inflation und das Risiko von Spekulationsblasen.